Christian Böhm

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6.7.6 Verfahrensfehler der Polynom-Interpolation


Einführung in die Verfahrensfehler der Polynom-Interpolation

Zunächst soll der Fehler eines Interpolationspolynoms Pd, das durch

 P_d(x_i) = f_i := f(x_i), \quad i = 0, 1, \dots, d,Formel (7.6.1)


definiert ist, untersucht werden. Die Fehlerfunktion

 e_d(x) := P_d(x) - f(x)


besitzt entsprechend der Interpolationsbedingung (7.6.1) an den Interpolationsknoten x0 ,x1 ,...,xd Nullstellen; dazwischen können die Werte des Interpolationsfehlers ed aber beliebig groß werden. Nur wenn zusätzliche Information über f vorliegt, kann man auch dort Aussagen über die Größe des Fehlers machen.

Satz (Fehlerdarstellung)

Wird eine Funktion f \in Cd+1[a,b] an den paarweise verschiedenen Knoten a <= x0 ,x1 , ...,xd <= b durch das Polynom Pd interpoliert, so gibt es fü jedes x \in [a ,b] eine Zahl \xi aus dem kleinsten Intervall, das alle xi und x enthält, sodaß sich der Fehler des Interpolationspolynoms an der Stelle x durch

 e_d(x) := P_d(x) - f(x) = \frac{f^{(d+1)}(\xi)}{(d+1)!}    (x-x_0) (x-x_1) \cdots (x-x_d)Formel (7.6.2)


ausdrücken läßt.

Beweis: Die Eigenschaft der Fehlerfunktion ed, an den Interpolationsknoten x0 , ...,xd zu verschwinden, läßt sich durch

 e_d(x) = (x-x_0) (x-x_1) \cdots (x-x_d) \cdot q(x) =   \omega_{d+1}(x) \cdot q(x)Formel (7.6.3)

mit einer passenden Funktion q und dem Knotenpolynom wd+1 \in \Pd+1

   \omega_{d+1}(x) := \prod_{j=0}^d (x-x_j)

ausdrücken. Für ein festes \xquer \in [a ,b] mit \xquer \not\in { x0 ,x1 , ...,xd } kann man mit wd+1 folgende Hilfsfunktion definieren:

 s(x) := P_d(x) - f(x) - \omega_{d+1}(x) \cdot q(\xquer)

Diese Funktion besitzt d+2 Nullstellen, denn es gilt

s(\xquer) = 0 und s>(xi) = 0, i = 0,1,...,d

Im kleinsten Intervall I, das alle Punkte \xquer ,x0 ,x1 , ...,xd enthält, hat die Funktion s also d+2 verschiedene Nullstellen. Da ausreichende Differenzierbarkeit vorausgesetzt wurde, folgt aus dem Satz von Rolle, daß s' in I mindestens d+1 Nullstellen besitzt. Weiteres Differenzieren und neuerliche Anwendung des Satzes von Rolle zeigt , daß s'' mindestens d Nullstellen in I besitzt. Dementsprechend hat schließlich s (d+1) mindestens eine Nullstelle in I, die im folgenden mit \xi bezeichnet wird.
Da q(\xquer) eine Konstante ist und

 P_d^{(d+1)}(x) \equiv 0

gilt, erhält man

 s^{(d+1)}(x) = f^{(d+1)}(x) - (d+1)!\, q(\xquer)

Diese Gleichung kann man an der Nullstelle x = \xi von s (d+1) nach q(\xquer) auflösen:

 q(\xquer) =  \frac{f^{(d+1)}(\xi)}{(d+1)!}

Durch Einsetzen in die Formel (7.6.3)erhält man schließlich die Fehlerdarstellung

 e_d(x) =  \frac{f^{(d+1)}(\xi)}{(d+1)!} \omega_{d+1}(x)

Schranken für den Interpolationsfehler

Mit einer Betragsschranke für die (d+1)-te Ableitung von f,

   \max \limits_{x \in I} |f^{(d+1)}(x)| = \|f^{(d+1)}\|_{\infty} \le M_{d+1}

erhält man eine Abschätzung für den Verfahrensfehler der Interpolation:

    |e_d(x)| \leq \frac{M_{d+1}}{(d+1)!} |\omega_{d+1}(x)| \qquad    \mbox{f Formel (7.6.4)


bzw. für jede Lp-Norm mit 1 kleiner-gleich p kleiner gleich unendlich die Abschätzung

    \|P_d - f\| \le \frac{M_{d+1}}{(d+1)!} \| \omega_{d+1} \|Formel (7.6.5).


Wie man den Formeln (7.6.2) und (7.6.5) entnehmen kann, hängt die Größe des Interpolationsfehlers sowohl von der Eigenschaft der interpolierten Funktion f als auch von der Lage der Interpolationsknoten x0 , ...,xd charakterisiert durch wd+1(x) bzw. \| \omega_{d+1} \| ab. Die günstigste Knotenanordnung bezüglich der Fehlerabschätzung (7.6.5) erhält man, wenn \| \omega_{d+1} \| so klein wie möglich ist. Für die L_\infty-Norm sind wegen Satz 9.3.1 (Tschebyscheff) die Tschebyscheff-Nullstellen die optimalen Interpolationsknoten.

Die Fehlerformel (7.6.4) ist für praktische Anwendungen (zahlenmäße Fehlerabschätzungen) nur dann geeignet, wenn f hinreichend oft stetig differnzierbar ist und man Schranken für die Ableitung der zu approximierenden Funktion f auf dem Approximationsintervall I explizit kennt. Fehlerformeln des Typs (7.6.4) sind jedoch auch in Situationen interessant, in denen zahlenmäße Fehlerschranken nicht gewonnen werden können, da sie eine qualitative Beschreibung des Fehlerverhaltens ermöglichen. Nimmt man z.B. an, daß eine Funktion f \in C2[a ,b] durch einen Polygonzug, d.h. durch eine stückweise lineare Interpolationsfunktion auf einer äquidistanten Knotenmenge (mit dem Stützstellenabstand h=(ba)/d) interpoliert wird, so folgt aus

2

daß der Fehler - in Abhängigkeit von der Schrittweite h - durch O(h2) beschrieben werden kann.


Beispiele zu 'Schranken für den Interpolationsfehler'


Es folgen nun zwei Beispiele die Ihnen die den Stoff des Kapitels "Schranken für den Interpolationsfehler" veranschaulichen sollen.

Beispiel 1 (Interpolation der Sinusfunktion)


Angenommen, man verwendet die Werte
f (xi) := sin (xi), xi := 0, 0.1, 0.2, 0.3, 0.4

zur Interpolation mit einem Polynom P4 \in \P4 und approximiert sin(0.14) durch P4(0.14). Mit

 M_5 = \max \limits_{x \in [0, 0.4]} |\sin^{(5)}(x)| =    \max \limits_I |\cos(x)| = 1

erhält man eine obere Schranke für den Fehler

|e_4(0.14)| \leq \frac{1}{5!}
|0.14||0.14-0.1||0.14-0.2||0.14-0.3||0.14-0.4| \approx 1.17 \cdot 10^{-7}.
.

Beispiel 2 (Lineare Interpolation)


Das Interpolationspolynom P1 \in \P1, das durch die Punkte (x0 , f( x0)) und (x1 , f( x1)) geht, ist durch

 P_1(x) = f(x_0) + (x-x_0) \frac{f(x_1) - f(x_0)}{x_1-x_0}

gegeben, und der Fehler ist

 e_1(x) = P_1(x) - f(x) = \frac{f''(\xi)}{2}(x-x_0)(x-x_1).

Für x \in [x0 , x1] und

 M_2 := \max \{ |f''(x)|: x \in [x_0,x_1] \}

gilt die Abschätzung

      |e_1(x)| \leq M_2 \frac{|x-x_0||x-x_1|}{2} \leq      M_2 \frac{(x_1-x_0)^2}{8}.

Wenn man also bei Beispiel 1 fünf äquidistante Werte von sin(x) auf [0,0.4] hat, dann ist dort der Approximationsfehler des Polygonzuges, der durch diese 5 Punkte geht, nicht größer als

 M_2 \frac{(x_{i+1} - x_i)^2}{8} = 0.4 \cdot \frac{0.1^2}{8} = 5 \cdot 10^{-4}.

Erst mit 500 äquidistanten Werten erhält man die Fehlerschranke 1.25 * 10 -7 , die mit jener des Interpolationspolynoms P4 aus dem Beispiel 1 vergleichbar ist.


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